 Am Donnerstag (11. Februar) beginnt die 66. Berlinale, neben Cannes und Venedig das weltweit wichtigste Filmfestival. Mit über 330.000 Besuchern in zehn Tagen gilt Berlin als das mit Abstand größte Publikumsevent für Cineasten. Beim Programm muss Berlinale-Boss Dieter Kosslick, 67, indes traditionell Federn lassen, weil Hollywood lieber zuhause für die Oscars trommelt als ins frostige Deutschland zu reisen. Zum Auftakt immerhin geling der Glamour-Coup. George Clooney garantiert Kreischalarm am Roten Teppich, im Schlepptau bringt er Josh Brolin und Tilda Swinton mit. Das hochkarätige Trio spielt in der turbulenten Krimi-Musical-Komödie „Hail, Caesar!“ um einen verschwunden Filmstar in den 50-er Jahren.
Die Regie-Brüder Joel und Ethan Coen versprechen clevere Unterhaltung vom Feinsten - und der Festival-Direktor verspricht vollmundig „Geld zurück!“ für all jene, die sich hier nicht amüsieren sollten. Dass dieser Spaß bereits während der Berlinale in den Kinos startet, kratzt zwar gehörig am Lack des exklusiven Event-Charakters, vor solchen Vermarktungsvorgaben der Traumfabrik knicken Cannes und Co. freilich längst gleichermaßen ein. Zu den medienwirksamen Pfauenfedern der Festivals sind mittlerweile die Jurys, insbesondere der Präsidenten avanciert. Mit Meryl Streep als Chefin der diesjährigen Bären-Richter ist Berlin ein echter Clou gelungen, schließlich war die Hollywood-Ikone noch nie in dieser Rolle tätig. Für ihr Debüt benötigt die dreifache Oscarpreisträgerin reichlich Sitzfleisch, dauert der philippinische Wettbewerbsbeitrag „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ von Lav Diaz geschlagene acht Stunden. Erzählt wird von der spanischen Kolonialherrschaft im späten 19. Jahrhundert – 482 Minuten in kargem Schwarzweiß mit Untertiteln: „Mamma Mia!“ mag sich da nicht nur der 66-jährige Star denken, immerhin ein Stündchen Pause wird den Marathon-Teilnehmern gegönnt. Hatte das Festival im Vorjahr mit dem Sado-Maso-Stück „Fifty Shades of Grey“ auf die Skandalkarte gesetzt, geht es diesmal eher unspektakulär zu. „Das Recht auf Glück“ ist der thematisch rote Faden auf dem Roten Teppich. Bei den 18 Kandidaten im Bären-Rennen dominieren die Suche nach Identität, nach Sinn und individuellem Glück. Politisch steht, wie könnte es anders sein, das Thema Flüchtlinge auf der filmischen Agenda. Große Erwartungen gelten dabei dem italienschen Dokumentarfilm „Fire at Sea“, der einen zwölfjährigen Jungen auf der Insel Lampedusa begleitet. Während Frankreich mit drei Regisseuren üppig wie üblich im Wettbewerb vertreten ist, fällt das Heimspiel des deutschen Kinos so mager aus wie nie zuvor. Nur Anne Zohra Berrached hält das schwarz-rot-goldene Film-Fähnchen hoch, im Drama „24 Wochen“ erzählt sie von den Sorgen einer schwangeren Mutter, deren Kind krank zur Welt kommen wird. Klingt ganz nach „Das kleine Fernsehspiel“? Und das ist es tatsächlich auch! Fehlanzeige derweil für Tom Tykwer, dessen „Hologramm für einen König“ mit Tom Hanks als gesetzt galt, dessen internationale Verleih-Strategen dem Festival jedoch einen brüsken Strich durch die Rechnung machten. Jenseits solch kommerziellen Geplänkels kann Österreich gelassen mit Kreativem glänzen. Sorgte im Vorjahr der Grazer Jakob M. Erwa mit seinem Psychothriller „HomeSick“ im Festival-Talentschuppen „Perspektive Deutsches Kino“ für viel Furore, könnte heuer der in Paraguay geborene und Wien aufgewachsene David Clay Diaz zum Geheimtipp avancieren. In seiner rigoros düsteren Milieustudie „Agonie“ erzählt der Filmstudent von zwei jungen Männern, die mit ihren Emotionen nicht ganz zurecht kommen. Der eine flüchtet in Kampfsport und zornige Rap-Gesänge. Der andere wirkt seltsam introvertiert – bis er seine neue Freundin im Bett ersticht und deren zerstückelten Körper alsbald im gesamten Wien verteilt.
Ein perfider Horrorfilm der unheimlichen Art. Atmosphärisch dicht lässt er es vibrierend unter der Oberfläche brodeln, banalen Antworten verweigert er sich bewusst. „Eine starke Metapher ist die buddhistische Parabel über fünf Blinde, die das ‚Wesen’ eines Elefanten herausfinden wollen, wobei jeder einen anderen Teil des Tieres untersucht und dabei kommen alle fünf zu fünf unterschiedlichen Ergebnissen“, sagt Jungfilmer Diaz über sein Konzept. Mit dem Darsteller-Duo Samuel Schneider und Newcomer Alexander Srtschin präsentiert er leinwandpräsente Rohdiamanten. Ein filmstudentisches, kleines Meisterwerk mit nachhaltiger Wirkung- das bald Geheimtipp-Status haben dürfte.
|